Wanderradschrecken

Wie jeden Sonntag war alles totenstill in der ruhigen Seitenstraße des beschaulichen elsässischen Örtchens Brumath. Nur der Wind jagte ein paar Staubteufel durch die leeren Gassen, ein paar Tauben turtelten vergnügt auf einem Stromverteiler und eine Frau verbrachte, wie jeher, ihren Tag aus dem Fenster herauslehnend. Eben ein ganz gewöhnlicher und ruhiger Sonntagnachmittag wie er schon seit Jahrhunderten hier stattfindet. Doch plötzlich flogen die Tauben aufgeschreckt auf. Ein „Gequietsche“, „Gesurre“ und „Geplärre“ in einer unverständlichen Sprache störte abrupt die himmlische Ruhe. Die Frau am Fenster erschrak. Seit den napoleonischen Kriegen, als Soldaten plündernd durch den Ort zogen, hatte sie keine solchen Laute mehr vernommen. Gleich einer Horde Wanderheuschrecken stürmte eine hungrige Bande Radfahrer den orientalischen „Tante-Emma-Laden“ von Gegenüber. Das Schild „Bin-Laden“ an der Eingangstür verhinderte wohl ein gewaltsames Aufbrechen desselben, denn der Laden hatte zum Glück aller Beteiligten geöffnet. Die Frau atmete erleichtert auf, die wilde Horde hatte wohl nichts davon mitbekommen, dass sie noch ein großes Stück Sonntagsbraten und eine Schüssel voll Spätzle vom Mittagessen übrig hatte. Entspannt konnte sie nun das weitere Treiben beobachten. Kurze Zeit später erschienen nun die komischen Gestalten in ihren weiß-roten Uniformen wieder und breiteten ihren Fang auf dem großen Stromverteiler neben dem Laden aus. Gleich einer Horde Hyänen zerrissen sie das Hähnchen noch in der Luft und machten sich sogleich über den Rest der Sachen her. Die Frau konnte nicht alles erkennen. Diverse Schokoriegel, eine große Schachtel Kekse, 2 große Baguette, ein ganzes Hähnchen, 6 Bananen, eine Packung Käse, eine Packung Wurst, 3 Liter Wasser, 2 Flaschen Cola häuften sich auf der Fläche des großen Stromverteilers. Die Frau erwartete, dass wohl noch einige Nachzügler eintreffen würden, um sich bei dem Gelage zu beteiligen. Es geschah aber nichts, sie hörte keine weiteren Räder mehr heranrollen nur das Geschmatzte von Gegenüber war von weitem vernehmbar. Es dauerte auch nur kurze Zeit, bis der Spuk wieder vorbei war. Die sehr kurze Zeitspanne, in der alles vertilgt und die Rad-Horde wieder spurlos verschwunden war, machten der alten Dame nochmals deutlich, welch großes Glück sie und ihre Küche hatten, unbehelligt aus dieser Geschichte heraus gekommen zu sein.

Essgelage am Stromverteiler
Essgelage am Stromverteiler
Essgelage am Stromverteiler II
Essgelage am Stromverteiler II

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